Biene, Wespe und Hummel als lyrisches Motiv

"Wespe, komm in meinen Mund" (Marcel Beyer)

Schreibnacht online | 29. April 2021

Bienen und Wespen haben es in der Kunst und Poesie weit gebracht. Von der Antike bis heute tauchen die emsigen und stechbereiten Insekten als ästhetisches Motiv auf, egal ob sie selbst erscheinen oder Honig und Wachs im Mittelpunkt stehen. "Sizi, sizi, bîna / [sitz, sitz, Biene]", ruft Maria im Lorscher Bienensegen aus dem 10. Jahrhundert, damit die Tiere im Stock bleiben. Lucas Cranach der Ältere malt rund 600 Jahre später Amor als Honigdieb, der sich bei Mutter Venus über die Stiche der Bienen beklagt.

Der Kreislauf der Honigpumpe – Joseph Beuys

Der Umweg über die bildende Kunst macht zwei wesentliche Aspekte des ästhetischen Motivs anschaulich: Für Joseph Beuys sind Honig und Wachs grundlegende Werkstoffe, um Energieprozesse zu vermitteln. Die Fähigkeit der Honigbienen, sich durch ihre spezielle Kommunikation und durch Arbeitsteilung zu einem Volk zu organisieren, kann für ihn so auch zum Vorbild menschlicher Gemeinschaft werden. In seiner Installation Honigpumpe am Arbeitsplatz (Documenta VI, 1977) lässt der Künstler Honig durch mehrere Museumsräume zirkulieren. Das in sich geschlossene Schlauchsystem erinnert an einen Blutkreislauf, der das Gebäude und die darin befindlichen Menschen mit Energie versorgt.

Felder aus Blütenstaub und Wachsräume – Wolfgang Laib

Der Bildhauer Wolfgang Laib sammelt auf Wiesen und Feldern Blütenstaub und siebt ihn bei Ausstellungen in großen leuchtenden Rechtecken auf den Boden. Der Gedanke an die befruchtende Rolle der Bienen im Schöpfungsprozess ist nicht weit (Documenta VII, 1982). Wie Beuys arbeitet auch Laib mit Bienenwachs und nimmt dabei mit Pyramide und Stufenzikkurat die Tempelarchitektur alter Kulturen auf. Seine mit dicken Wachsplatten ausgekleideten Räume sind teils begehbar. Durchschreitet man die engen Korridore, eröffnet sich in der meditativen Stille dieser goldgelb duftenden Wachsräume der Übergang in eine unsichtbare Welt.

Himmlischer Honigglanz auf den Gesängen

In der Antike gilt der Honig als Götterspeise. Dass die Bienen ihn erzeugen, ist kaum bekannt. Man glaubt, er falle als Tau vom Himmel, den die Bienen nur von den Blüten einsammeln. Ob diese kleinen Götterbotinnen oder die Musen selbst Dichter/innen mit dem Nektar versorgen, damit die Worte süß und vor allem wahrhaftig aus dem Mund fließen, bleibt in der frühen griechischen Literatur nebensächlich. Ein Hinweis auf das dichtende Subjekt ist noch fehl am Platz. Der Honig, dessen Glanz sich über die Dichtung legt, steht im Zentrum: Er nämlich verleiht die Fähigkeit, gottgegebene Gesänge anzustimmen und darin verborgene Wirklichkeiten zu enthüllen.

Die dichtende Person als Biene

Erst das vom Honig gelöste Klangbild der summenden Bienen baut die Brücke zum bekannten Vergleich von Biene und Dichter/in. Die Bienengesänge und die formelhafte Nennung der helltönigen Biene  lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fertigkeiten der dichtenden Person. Es macht das Beiwort zur Auszeichnung: Sappho wird zur lesbischen Biene, Sophokles zur attischen. In seiner frühen Schrift Ion (um 399 v. Chr.) betitelt Platon alle Dichter als Bienen und besiegelt damit die neue Gewichtung: Der ursprüngliche Vergleich von Honig und Lied verblasst. Die Dichter sind nicht mehr Seher und Verkünder göttlicher Botschaften, sie sind Poeten geworden, selbst also (das Wort übersetzt) Macher.

Das Bienen-Motiv immer noch aktuell, durch Wespe und Hummel erweitert

Man könnte meinen, das seit Jahrtausenden gebrauchte Motiv sei längst überholt. Mitnichten! Auch die zeitgenössische Lyrik hält – im Gegenstrich zur Tradition – am Honig- wie Bienenbild fest, erweitert es durch Wespe und Hummel.

John Burnside stimmt in seinem Zyklus Bienenmythen einen Schöpfungs(ab)gesang Im Namen der Biene an. Monika Rinck verfasst Honigprotokolle. Auch bei ihr wird schnell deutlich, dass es nicht gut um die Welt bestellt ist: „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, in Bernsein und Amber“. Es sind die staatenlose[n] Schneebienen, die im Gedicht von Daniela Danz voll Gier vorgehen und auf Zerstörung aus sind. In nullsummenbien zieht Katharina Schultens mit doppelbödiger Wortsetzung Bilanz und setzt die Rechnung durchkreuzend den Stachel: „[…] ich bin keine bienen […//…] ich bin bloß wütende wespen“.

Thomas Kling könnte Schultens als Wespendichter par excellence zur Seite stehen. Das im Vergleich zur Biene aggressivere Insekt zieht sich emblematisch durch das Werk und diktiert den Rhythmus des Schreibens: „alles voller fühler, voll aufstampfender wespenfuß. […] mit wespenfrequenzen / versehene, mit wespenfrequenzen versetzte schrift“. So schärft sich auch der Blick auf die Realität.

Auf in die Schreibnacht!

Wenn Sie noch mehr Lust haben: auf Winterbienen (Hilde Domin) oder Bienenwinter (Marcel Beyer), auf Hummeln (Hans Magnus Enzensberger, Ruth Johanna Benrath). Oder wenn Sie sogar ein eigenes Selbstporträt mit Bienenschwarm (Jan Wagner) nicht ausschließen wollen, sind Sie am 29. April 2021 ab 19 Uhr herzlich willkommen. Ich freue mich auf Sie!

Falls Sie noch organisatorische Details und Informationen zur Anmeldung brauchen, finden Sie diese auf der Startseite zur Schreibnacht.  Zur direkten Buchung geht es gleich hier:

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