Gedichte über Gedichte

"Oder Dichtung, was war das noch?" (Durs Grünbein)

Schreibnacht online | 24. September 2020

"all die sätze die wir hörten /[...]/ waren hochprozentig". Nicht nur bei Andreas Noga steigen die Wörter in den Kopf. Bereits in Gottfried Benns zunächst so nüchtern klingenden "Staatsbibliothek" zeigt sich schnell, dass sich die Bildungsinstitution in ein "Fieberparadies" verwandelt, wenn der Funke aus dem kollektiven Wissensschatz überspringt und zur schöpferischen Ekstase führt. Rilkes "Orpheus" scheint da nicht weit.

Lyrische Bestandsaufnahmen

Nüchtern zieht dagegen Bert Brecht 1939 Resümee. In den "finsteren Zeiten"  der Naziherrschaft und des Kriegsausbruchs steht es um das Gedicht schlecht. Dennoch  behauptet es sich, wird die Lage der Lyrik wie bei allen Beispielen dieser Schreibnacht doch gerade in einem Gedicht reflektiert. So macht auch Günter Eich nach dem Kriegsende und der Heimkehr aus der Gefangenschaft "Inventur": Der Stellenwert der Dichtung wird neu bestimmt. Etwa 50 Jahre später legt Durs Grünbein ein "Memorandum" vor. Hier ist es ebenfalls der selbstkritische Blick auf die Lyrik, die sich im geschichtlichen Wandel ihrer Möglichkeiten und Grenzen bewusst werden soll.

Zeiten des Auf- und Umbruchs liegen in den Jahrzehnten dazwischen. "Keine Delikatessen", sprich: Lyrik, will Ingeborg Bachmann ihren Lesern mehr bereit stellen. Im Verstummen liegt die Chance, zu einer neuen Sprache zu finden. "Worüber/ kann ich noch schreiben", heißt es in den 1960er Jahren bei Rolf Dieter Brinkmann aus einer anderen Perspektive. "Alle Gedichte sind Pilotengedichte", sie sind offen für einen beliebigen Anfangsunkt. Brinkmann bezieht die amerikanische Popkultur in seine Lyrik ein und plädiert, dass alles Anlass für ein Gedicht sein kann, egal ob Supermarkt, "Straßenbau oder/ junge Ehen".

Die poetologische Dichtungstradition - und Ihre lyrische Antwort darauf!

Gedichte über Gedichte gehören schon seit der Antike zur Lyrik. Im Paradox einer Selbstreflexion, die nicht nur Lyrik thematisiert, sondern die Gedanken zugleich in einem Gedicht zum Ausdruck bringt, liegt der besondere Reiz dieser "poetologischen" Tradition.

Diskutieren Sie die Lage der Lyrik mit! Am Donnerstag, den 24. September 2020, haben Sie in der Schreibnacht ab 19 Uhr das Forum zur Verfügung. Machen Sie sich "Gedanken" über Ihr Schreiben und Lyrikverständnis und beziehen Sie in Ihren Versen Stellung! Ich freue mich auf unseren Austausch.

Auf der Startseite zur Schreibnacht finden Sie noch ergänzende Informationen. Zur direkten Buchung geht es gleich hier:


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