Karoline von Günderrode

Eine Seelensprache der Melancholie

"Und auf der flachen Erde schreitet der Verstand" (Karoline von Günderrode)

Die neuen Literatur-Schreibnächte finden in lockerer Abfolge statt. Sie widmen sich jeweils einer Lyrikerin oder einem Lyriker (vorerst) der vergangenen Jahrhunderte.

Den Anfang macht in dieser Reihe Karoline von Günderrode, die an der Wende zum 19. Jahrhundert außerordentliche Wege des philosophischen und literarischen Denkens einschlug.

Als Dichterin lange Zeit verkannt, galt das Interesse mehr ihrer tragischen Biografie als ihrem Werk.

Karoline von Günderrode und ihr männliches Pseudonym

Ihren ersten Band "Gedichte und Phantasien" veröffentlichte Karoline von Günderrode 1804 unter dem Namen Tian. Ihr männliches Pseudonym sollte verbergen, dass sie sich mit Themen beschäftigte, die damals nur Männern "zustanden".

"Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit", hatte sie 21-jährig bereits drei Jahre vorher geäußert: "Nur das Große, Glänzende gefällt mir." Als mittellose Adlige hätte sie nach weiblicher Konvention längst verheiratet sein müssen. Ohne ökonomische Sicherheit richtete sie ihr Leben auf der Grundlage von Ideen ein.

Ihr Freiheits- und Liebesbegriff brachte sie im hohen Anspruch, authentisch zu leben, in Konflikt. Sie wurde zur Außenseiterin, auch wenn sie Einladungen folgte und gern gesehener Gast in den damals üblichen Teegesellschaften und Zirkeln war.

Der den Frauen verwehrte Zugang zum Wissen

Der Zugang zum Wissen war Frauen erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. So erarbeitete Karoline von Günderrode sich die Philosophie und Literatur ihrer Zeit aus eigener Kraft.

In ihren Notizbüchern findet man zahlreiche Exzerpte, in denen sie sich mit den Tendenzen der Zeit auseinandersetzte, ihre Wege bahnte, um zu einem literarischen Ausdruck zu kommen. Neben Essays und der Lyrik lagen ihr auch Dramen am Herzen, die den Männern vorbehaltene Gattung.

Briefe als weibliche Kultur des Schreibens und Gedankenaustausches

Zusammen mit Bettine Brentano und anderen Freundinnen tauschte "Günderrödchen", wie sie im Freundeskreis hieß, Bücher und Gedanken aus. “Reisen“ in fremde Länder fanden statt - im Geiste oder Traume. In die Gedichte und Schriften integriert, wirkten die fernen Ziele dennoch oft so, als seien es nicht nur Metaphern, sondern steckten "reale“ Erfahrungen dahinter.

Briefe wurden zum wichtigen Medium, in denen sich über ein Treffen hinaus diskutieren ließ. Man las sie in der Regel in den Abendgesellschaften laut vor. Themen und Meinungen wanderten in andere Zirkel weiter. Für Frauen waren Briefe daher doppelt von Bedeutung, da die in dieser Form verfassten Texte so eine mehr oder weniger kleine/große Öffentlichkeit erreichten.

Die Wiederentdeckung der Karoline von Günderrode

Drei Phasen gibt es in der wissenschaftlichen Aufbereitung und Annäherung an das Günderrodsche Werk:

Zwischen der alten überholten biografischen Deutung und der neuesten philosophischen Aufwertung des Werks fügt sich in den 1980er Jahren das Interesse an der Emanzipationsbewegung ein.Der Lebensentwurf der Dichterin wird zur Widerstandsbiografie. Das Aufbrechen alter Rollenmuster steht im Blickpunkt.

Christa Wolf hat an der Wiederentdeckung der Dichterin großen Anteil. Sie stellte unter dem Titel "Der Schatten eines Traumes" nicht nur eine erste Ausgabe ausgewählter Texte zusammen, sondern  gab der Vorgängerin auch in einer Erzählung Raum

"Kein Ort. Nirgends" - Christa Wolfs Blick auf Günderrode und Kleist

In ihrer Erzählung "Kein Ort. Nirgends" (1979) lässt Wolf Karoline von Günderrode fiktiv mit Heinrich von Kleist zusammentreffen. Sie weitet dabei die Perspektive auf die Künstlerexistenz generell. Beide, Dichterin wie Dichter, waren in der nachrevolutionären Zeit, als sich das Bürgertum breit machte, in ihrem Freidenken isoliert.

Als Künstler wurden sie in dem nun verstärkt logisch-rationalen Umfeld zu Träumern, die der Gesellschaft wenig dienlich waren. Ihre der Epoche vorausgreifenden Lebensentwürfe scheiterten. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, konnte es weder Günderrode noch Kleist gelingen, die konträren Lebensperspektiven alltäglicher Werteschaffung und künstlerischen Hochideals zu verbinden.

Beide Künstler "antworteten" - unabhängig voneinander - mit dem Freitod: Günderrode stieß sich 26-jährig 1806 den Dolch, den sie immer mitführte, ins Herz, Kleist erschoss sich 1811, gerade 34 Jahre alt.

Literarische Reminiszenzen an Karoline von Günderrode

Die Literatur-Schreibnacht will mehr als nur an eine Dichterin erinnern. Zumal ihr neben Christa Wolf durchaus noch weitere literarische Beachtung gezollt wurde.

Als eine der ersten würdigte Bettine von Arnim, die Schwester Clemens Brentanos, in ihrem Roman "Die Günderode" die Freundin. Johann Wolfgang Goethe gab der Figur der Ottilie in "Wahlverwandschaften" entsprechende Züge. Johannes Bobrowski nahm 1956 den 150. Todestag als Anlass für eine Hommage. Wolfgang Koeppen verfasste 1980 seine bekannte Interpretation zu "Der Luftschiffer", einem Gedicht aus dem Nachlass der Günderrode.

Aus der Tradition Inspiration gewinnen

Die Auseinandersetzung mit der Tradition macht Ihr zeitgenössisches Schreiben durchaus reicher und bewusster:

  • Motive oder Themen, unter einem epochen- oder zeitspezifischen Blickwinkel erfasst, werden zur Inspirationsquelle.
  • Der stilistische Vergleich festigt Ihre eigene Schreibart oder lässt Sie neue Elemente entdecken.
  • Im Spiegel von Selbstzeugnis oder Dichtungskonzeption Ihrer Vorgängerin reflektieren Sie auch Ihr Schreiben.

Die Schreibnacht mit Gedichten Karoline von Günderrodes rückt ebenso die Seelensprache der Melancholie ins Zentrum.
"Deine Hände greifen/ träumerisch den Schlaf." Lassen Sie sich von Johannes Bobrowskis Versen anstecken und reisen Sie mit durch vergangene literarische Welten.

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