Gedichte auf den Punkt gebracht

"die menschheit endgelagert" (Wulf Kirsten)

Schreibnacht online | 30. Januar 2020

Gute Gedichte springen über: Bringen Sie sie daher überzeugend "auf den Punkt"! Runden Sie Ihren Text, spitzen Sie ihn zu!

Der Kompositions- oder Spannungsbogen hat großen Anteil daran, dass Ihr Gedicht noch über die letzte Zeile hinaus wirkt. Form, Stilfigur oder Bild liefern Ihnen wichtige Gestaltungselemente, den Schlussakzent mit Nachdruck zu setzen. Der barocke Dichter Friedrich von Logau war Meister darin, seine Epigramme im spöttischen Ton zu beenden: "Denn ihr bestes Pferd ist heuer/ Viel zu seltsam und zu theuer." Gemeint ist der Wein als Pferd des Poeten.

Die zwischen Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller ausgetauschten Xenien dienten dazu, den damaligen Literaturbetrieb mitsamt Dichterkollegen aufs Korn zu nehmen: "Ja, der Mensch ist ein ärmlicher Wicht, ich weiß – doch das wollt ich / Eben vergessen und kam, ach wie gereut michs, zu dir", polemisiert Schiller in seinem Distichon.

Auch das klassische Haiku legt seine Form auf einen plötzlichen Wechsel gegen Schluss an: "Der Mond im Wasser / Schlug einen Purzelbaum noch / Und trieb dann weiter." (Ryota) Ezra Pound, der eine Menge dieser Dreizeiler übersetzte, entwickelte daraus seine eigene "Bild"-Theorie. Mit dem am Gedichtschluss gesetzten image werden die vorangehenden Zeilen einschließlich Titel einbezogen und überlagert. Die Analogie, so fern und überraschend sie zu sein scheint, sticht sofort ins Auge und hat dadurch Bestand: "In einer Station der Metro // Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge: / Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast."

Mit pointiertem Schluss

Mit Sinndrehung oder Wortspiel verlagern auch moderne Dichter den Akzent auf das Textende. Bertolt Brecht schließt sein Gedicht auf den niedergeschlagenen Aufstand am 17. Juni 1956 mit der Frage, ob es nicht besser sei, "die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes". Erich Fried entlässt seine Leser/innen mit der Feststellung "Freiheit / herrscht nicht" und gibt so den Anstoß, sich über den zur Sprache kommenden Widerspruch Gedanken zu machen.

Eine Pointe schockiert vielleicht, irritiert zumindest. Wenn Wulf Kirsten seine letzte Zeile unmittelbar an ein Zitat Joseph von Eichendorffs anschließt, wird die atomare Bedrohung umso eindringlicher. Der romantische Lebenstraum, in dem sich Himmel und Erde küssen, hat keinen Platz mehr: "es war als hätt der himmel / die menschheit endgelagert".

Mit hintergründigem Humor arbeitet Ernst Jandl: Sein "heiterer landaufenthalt" lässt im "sommerlied" den Tod als willkommenen Mitspieler erscheinen. In "hosi" verschiebt der Dichter den religiösen Kontext in aller Steigerung der Namens- und Wortsilben. Die konkrete "ananas"-Frucht wird zur Pointe, die die aufgebaute Spannung entlädt und in der provozierenden Blasphemie beim Publikum (zumindest in den 1960er Jahren) Entrüstung oder - Begeisterung auslöst.

Auf zum Dichten und den Bogen gespannt!

In der aktuellen Schreibnacht rücken vor allem die letzten Zeilen eines Gedichts in den Blick. Doch ohne Spannungsbogen, der den gesamten Text gleich von Beginn an ausrichtet, lässt sich kein starker Schlusspunkt setzen. Nur so kommt es - mehr oder weniger gefühlvoll - zum "Aha"-Erlebnis, mit dem sich Ihren Leser/innen eine neue Sicht öffnet.

In der Betonung des Gedichtschlusses lauern jedoch einige Gefahren:

  • ein zu plattes Wort erschlägt
  • Klischees schleichen sich ein
  • das Fazit relativiert das zuvor aufgebaute Bild
  • ein allzu deutlicher Fingerzeig missioniert
  • die letzte Zeile hängt isoliert in der Luft

Ihre Leser/innen wollen überzeugt oder aufgeklärt werden, neue Perspektiven erfassen, nicht zuletzt unterhalten werden und zwar - in einem poetischen Dialog, der ohne "Bevormundung" bleibt. Gerade bei einem "punktgenauen" Gedichtschluss wird die nötige lyrische Offenheit schnell zur Herausforderung.

Spannen Sie in der Schreibnacht am 30. Januar 2020, ab 19 Uhr also den Bogen und treffen Sie punktgenau Ihr Ziel! Sie sind in der Schreibschützen-Runde herzlich willkommen.

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