Gedichte automatisch schreiben

"roll nicht von deiner spule / sonst bricht dein backsteinzopf" (Hans Arp)

Schreibnacht online | 23. September 2021

Automatisches Schreiben kann sich von göttlicher Eingebung bis zur maschinellen Textproduktion erstrecken. Religionsstifter verstanden sich als Verkünder heiligen Worts, genauso die frühzeitlichen Dichter, die von den Musen inspiriert als Seher galten.

Ganz anders die Dadaisten des 20. Jahrhunderts: Sie setzen der hehren Poesie ihrer Zeit automatische Schreibmethoden entgegen, die Assoziationen sollten fließen. Die Texte ergaben sich aus zufälliger Kombination. Das geschieht auch beim "Poesieautomat", den Hans Magnus Enzensberger im Jahr 2000 der Öffentlichkeit vorstellte. Für Enzensberger ist es ein Spiel, das sinnvolle Gedichte hervorbringen kann. Die Qualität hänge vom Input ab, mit dem die Maschine gefüttert ist.

Engel und Musen, Inspiration, Schreibmethoden oder Automaten, letztlich Flow – diese Kraft in ihren unterschiedlichen Ausformungen kennen Sie wohl als Dichter/in selbst. Dann nämlich, wenn "es Sie schreibt".

Écriture automatique, Klangsuggestion und Sternensprache

Doch automatisch(es) Schreiben ist mehr als Flow oder nur Zufall. Es steht vor allem für das Verfahren, das durch die Surrealisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts über die Kunst hinaus auch für die Dichtung Bedeutung gewann. Mit der "Écriture automatique", Methoden wie "Cadavre exquis" oder reinen Lautgedichten wollten sie sich im generellen Zeitenumbruch gegen künstlerische Konventionen auflehnen und dem seit Sigmund Freud erforschten Unbewussten Raum geben.

Über die Klangsuggestion zusammengewürfelter Worte sollte sich ein hintergründiger, vor allem lebendiger Eindruck ergeben. So gehörte die Spontaneität – auch auf der Bühne im unmittelbaren Kontakt zum Publikum – zur Dada-Bewegung, die Hugo Ball und Emmy Hennings im Februar 1912 im Züricher "Café Voltaire" ausriefen.

In Moskau entwickelte derweilen der futuristische Dichter Velimir Chlebnikov sein ästhetisches Konzept der "zweiten Sprache" als universeller "Sternen- und Vogelsprache". Verstecken sich in einem Wort nicht viele andere? Im Vertauschen der Buchstaben und Silben werden sie erkennbar und strukturieren auf einer zunächst unterschwelligen Textebene weitere Bedeutung. Rätsel leben davon, Anagramme, Wortverflechtungen.

Automatisch schreiben – auf zum Wortspiel mit Zufall und Inspiration!

Die Schreibnacht am 23. September 2021 – Achtung, eine Woche früher als gewohnt! – wird den Blick auf den eigenen Werk- und Wortstoff schärfen und mit der kleinsten Einheit, den Buchstaben und Lauten arbeiten.

Ob sich wie bei den Dadaisten in den Texten Sinn verweigert – "roll nicht von deiner spule / sonst bricht dein backsteinzopf" (Hans Arp) –, alles zum Klang wird – "tressli bessli  nebogen  leila" (Hugo Ball) – oder sich ganz zeitgenössisch wie bei Kurt Marti die Feste vertauschen – "ostern / o stern" –, kann Sie auch automatisch auf neue Schreibwege bringen. Sie sind zu dieser suggestiven Spracherkundung herzlich eingeladen!

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