Unter grünem Maibaum | Wie Dichterinnen die Natur sehen

"Im Lauchbeet hockt die Wurzelfrau" (Christine Lavant)

Schreibnacht online | 30. April 2020

Walpurgis steht vor der Tür und lädt zum anderen, zum weiblichen Blick auf die Natur ein. Doch seit wann gibt es diese Perspektive überhaupt und speziell in der Lyrik?  Wie schreiben Dichterinnen über Fauna, Flora und Tierwelt, über Landschaften und wie definieren sie vor allem ihr Verhältnis zur "großen allumfassenden Mutter Natur"?

"Der Droste würde ich gern Wasser reichen", dichtete Sarah Kirsch. Ihre Hommage an die Vorgängerin lässt sich im Umfeld der Naturlyrik umso besser verstehen, war Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) doch gerade in diesem Genre den Dichterinnen des 20. Jahrhunderts ein Vorbild.

Vor allem Elisabeth Langgässer identifizierte sich mit Droste, die nicht nur den neuen Typ eines Naturgedichts geschaffen, sondern auch eine weibliche Naturlyrik begründet habe: "[…]in höchster Bewußtheit, von Zweifeln zerrissen, dem eigenen Spiegelbild und den Kräften des Unterbewußten gespenstisch gegenübergestellt. […] so grub sie sich in die Erde ein, saß bei Käfern und Asseln und fühlte den Untergang."

Die Beziehung zur Natur - ein Zwangsbündnis

Es ist die Gleichsetzung von Frau und Natur, die in ein enges Korsett zwingt. In ihren Gedichten widersprechen die Autorinnen der männlichen Projektion und widerlegen, dass sich der Lebenssinn einer Frau auf den großen Naturkreislauf von Entstehen und Vergehen beschränke. Sie machen offenkundig, wie das weibliche lyrische Ich als Objekt den Naturgesetzen unterworfen und zur Selbstaufgabe gezwungen ist.

"Welch schönes Jenseits / ist in deinen Staub gemalt“, beginnt Nelly Sachs ihr Gedicht "Schmetterling". Das "Geheimnis der Luft", die Weite des Himmels nämlich ist wie schon bei Droste-Hülshoff als männlicher Vorstellungsraum verwehrt. Bei Ingeborg Bachmann ist es "der Sterne Schutt", der das lyrische Ich im nächtlichen Flug trifft. Nahe am Boden, überhaupt mit der Furcht, in die Erde gesteckt oder wie Unkraut ausgerupft zu werden (Christine Lavant), so zeigt sich das weibliche Ich bei den Naturdichterinnen über lange Phasen des 20. Jahrhunderts.

Mythos, Märchen und Sarkasmus - die Mittel für Distanzierung und Befreiung

Verfügbar und duldsam harrt dieses Ich aus, das Schöne geht ins Hässliche über, erscheint deformiert. "Ich bin die Kröte", schreibt Gertrud Kolmar. Bei Langgässer steht die Spinne im Zentrum, deren Netz nun - anders als einst das Traumgewebe der Göttin Arachne - nicht mehr als Kunst gilt. Auch im Grünen sieht es nicht besser aus. Als Nutzpflanze angesiedelt, "im Lauchbeet“ (Christine Lavant), ist selbst das Leben als Sonnenblume dem Nahrungszweck der Vögel geschuldet. Die picken, so Christine Busta, "gierig ins Gesicht / der Dulderin", die "erblindet" schon von neuem Leben träumt und dabei ewigem Zyklus folgt.

Die Sprache der Dichterinnen ist oft sarkastisch, ihre Bilder entlehnen sie teils aus Mythos und Märchen. So ergibt sich genügend Distanz, um die Fremdbestimmtheit aufzudecken, die das seit Jahrhunderten männlich orientierte Naturgedicht den Frauen auferlegte. Ein anderer, der weibliche Blickwinkel öffnet sich, um die Beziehung von Natur und Frau neu zu bestimmen: "Das Unkraut die einfachen Blumen / Waren seit langer Zeit / Aufgebrochen die Gräber zu schleifen" (Sarah Kirsch).

Weibliche Naturlyrik - wie dichten zeitgenössische Autorinnen?

Der Blick auf die Natur bleibt distanziert, aber er weitet sich, es stellen sich andere Fragen. Vor allem das Ineinander von Natur, Stadt und Kultur erzeugt verfremdende Motive. "Es war das Jahr, in dem sie das Ministerium für Pflanzen auflösten“, heißt es bei Silke Scheuermann, die in "Skizze vom Gras" (2014) die kritische Utopie einer "zweiten Schöpfung" entwirft.  

In der Wochenzeitung Die Zeit (04.04.2007) plädiert Marion Poschmann "für einen radikal ästhetischen Umgang mit der Natur. Ästhetik ist das Gegenteil der Unterhaltungsindustrie. Aisthesis, die Wahrnehmung, hat mit der Kunst zu tun, die eigene partielle Blindheit zu überwinden, und setzt eine gewisse Aufrichtigkeit voraus."

Die Lyrikerin sucht den Raum zu bestimmen, Wechselbeziehungen auszuloten. Ihre zwölfteilige "Barocke Serie" (2002) reflektiert das alte Bild der Muttergottes, die über Jahrhunderte auch als Beschützerin der Natur galt. Beobachtung und Differenzierung werden Poschmann zur stärksten Komponente und geben schließlich der Natur selbst den Status einer Handelnden zurück: "Dämmerungsbrocken / beobachteten, was ich tat." ("7 Fragmente", 2016)

Auf! Und unser Verhältnis zur Natur neu reflektiert!

"Das Spiel ist abgebrochen. Wie sollen wir / jetzt noch an Märchen glauben?" Nora Bossong führt mit ihren Gedichten in Zwischenräume. So lässt sich in der Schreibnacht die weibliche Naturlyrik mit ihren veränderten Blickwinkeln vielleicht konkret auch in Ihren Texten ergründen. Wenn Sie also Lust haben, Ihren Standpunkt dichtend zu erkunden, sind Sie am 30. April 2020 - ab 19 Uhr herzlich eingeladen. Ich freue mich auf Ihr Kommen!

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