Kriegslärm in der Niemandsbucht

Schriftstellerleben | Neues über und von Peter Handke

Von Günter Ott

Solche Deutschlehrer sind jedem zu wünschen, Deutschlehrer wie Reinhard Musar, der Peter Handke Mut zum Lesen und Schreiben machte. Der dazu beitrug, dass der junge Mann von seinen traumatischen Erfahrungen im Knabeninternat "Marianum" in Tanzenberg nördlich von Klagenfurt freikam.

Traum und Trauma, die im Werk im plötzlichen Bilderwechsel aufleuchten. Traum und Krieg, die sich im jungen Handke eingegraben haben, nicht zuletzt dank der Feldpostbriefe seines sich nach der Heimat sehnenden Taufpaten Gregor. Das sind Konstanten, die der Salzburger Germanist Hans Höller [Amazon-Link] in seiner bewundernswert gelungenen Handke-Monografie als tiefe Lebens- und Werkspuren zeichnet.

Handke, mitten im Krieg, am 6. Dezember 1942, im Südkärntner Dorf Griffen geboren, an der Grenze zum von deutschen Truppen besetzten Jugoslawien, wird den Schrecken nicht los. Noch in die märchenhaft abgeschottete "Niemandsbucht" (1994) dringt der Kriegslärm, bricht die Welt der Flüchtlinge, von der auch "Bildverlust" (2002) und "Kali" (2007) erzählen.

Die Wahrnehmung des "unaufhörlichen Jammers der Dinge"

Gewaltig sind die Sprünge und Brüche im Leben und im Roman. Am Anfang stand Handkes unbedingter Wille zu schreiben. Die Mutter wird zur ersten Leserin. Sie, die im November 1971 an einer Überdosis Schlaftabletten und Antidepressiva gestorben ist. Ihr Sohn hat ihr eine seiner eindringlichsten Erzählungen gewidmet: "Wunschloses Unglück" (1972).

Angst um die Mutter, auch dieses Motiv erweist seine Dauer, vom frühen, bedeutenden Roman "Die Hornissen" (1966) an. Und ebenso früh setzen die Gegenbewegungen ein: Das Unterwegssein, die Wahrnehmung des "unaufhörlichen Jammers der Dinge" und das im Schreiben sich öffnende Gelände der Verwandlung, die neue Gemeinschaft, der verlorene Zusammenhang. Man könnte auch mit Handke-Titeln von der "Stunde der wahren Empfindung" (1975) und vom "Versuch über den geglückten Tag" (1991) sprechen.

"Ich erwarte von einem literarischen Werk eine Neuigkeit für mich"

Wie wird man ein anderer? Das treibt schon die von den Einsagern sprachlich zugerichtete Kaspar-Figur um. Immer geht es um das Infragestellen und um die Selbstbefragung (in all den gewichtigen Notizbüchern). Beides ist Sprachtätigkeit. Negativ: nicht dem "Magnetismus der Wörter" zu verfallen. Positiv vom Autor postuliert: "Ich erwarte von einem literarischen Werk eine Neuigkeit für mich, etwas, das mir eine noch nicht bewusste Möglichkeit der Wirklichkeit bewusst macht."

Hans Höller ruft Handkes tiefste Schreibkrise 1978/79 in Erinnerung. Ein verzweifelter Autor wandte sich an den Freund und Kollegen Hermann Lenz: "Seit 45 Tagen schreibe ich tagaus, tagein und weiß oft nicht mehr, was ein Wort mit dem anderen zu tun hat – was ein Wort überhaupt sagt."

Eine profunde Monografie, die aus unveröffentlchten Notizen des Autors schöpft

So manches aus Handkes Leben und Werk hat man so nicht gewusst und vernommen. Der Monograf erweist sich als hervorragender Kenner des Œuvres. Er schöpft teils aus unveröffentlichten Notizen und aus seiner persönlichen Nähe zum Autor, der das jahrelange Unterwegssein im Sommer 1990 beendete und in Chaville nahe Paris sesshaft wurde. Ein Einwand bleibt: Aufs Ganze gesehen - und auf den Balkankrieg im Besonderen - hätte man sich hie und da etwas kritische Distanz gewünscht.

Bücher zum runden Geburtstag oder auch: Wabra im Tor ...

Handke ist zu seinem 65. Geburtstag, den er am 6. Dezember 2007 feierte, in der berühmten rororo-Reihe angekommen. In seinem Hausverlag Suhrkamp sind aus diesem Anlass die von Ulla Berkéwicz herausgegebenen Gedichte unter dem Titel "Leben ohne Poesie" [Amazon-Link] aufgelegt worden. Darunter die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968, mit Wabra im Tor ...

Zudem erschien mit "Meine Ortstafeln - Meine Zeittafeln: 1967-2007" [Amazon-Link] ein opulenter Band mit Aufsätzen und Reden quer durch die Sparten. Beide Sammlungen laden zum Schmökern ein und bieten eine Menge heller Gedanken. Der Mann scheint unentwegt am Schreiben: Nächste Woche kommt Handkes Roman "Die morawische Nacht" in den Handel.


Günter Ott leitete das Feuilleton der Augsburger Allgemeinen Zeitung und arbeitet weiterhin als freier Journalist und Literaturkritiker.