Zauberbuch des Lebens

Rüdiger Safranski geht auf wunderbare Reise durch die Romantik

Von Günter Ott

Der Abschied kam plötzlich. Im Mai 1769 teilte der Prediger Herder seiner Gemeinde mit, er wolle die Welt seines Gottes "von mehr Seiten kennenlernen", bestieg ein Schiff und ließ das beengende Riga hinter sich.

Ein Aufbruch, wie er im Buch der Romantik steht. Mit ihm bricht auch Rüdiger Safranski auf in die Welt dieser Epoche (1770–1820), die durch die Geisteshaltung des Romantischen ausstrahlt bis in unsere Zeit.

Mit Taugenichts auf steter Wanderschaft

Aufbruch, Abfahrt – das ist der klassische romantische Topos. Man sucht das Leben in der Natur, den schöpferischen Ursprung, der den Menschen noch einbindet in den Klang des Ganzen. Das immerwährende Losmarschieren ist das Signum des Eichendorff’schen Taugenichts.

Er kommt nur an, um wieder aufzubrechen in die vielstimmige Natur und Kultur. Diese legen indes dem Wandersmann nicht nur ein Lied auf die Lippen, sondern konfrontieren ihn auch mit Gegenbildern. Kein Leben ohne Abgrund, keine Natur ohne Schauer, keine Morgenröte ohne Nacht. 

Stichwort "Morgenröte": Als solche erschien vielen Romantikern die Französische Revolution. Dichter und Denker pflanzten Freiheitsbäume – und mussten binnen kurzem die in blutigem Gemetzel endende Tyrannei der Vernunft miterleben.

Politisches Leid, ästhetische Freud – auch diese Doppellinie zieht sich durch Philosophie und Literatur. Der Zauberring des Kunstgeheimnisses fasste das Leben, Ahnung und Sehnsucht wurden zu Synonymen, die mannigfach verspiegelte romantische Ironie warf die Welt hoch in den Irrealis und fing sie im Alsob wieder auf (was den damaligen Wahrheitsaposteln nicht behagen mochte).

Endlichem einen unendlichen Schein geben

Was ist romantisch? Novalis gab die gültige Antwort: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe." Safranskis konzentrierten Durchgang durch diese geistig so virulente und erzählerisch so fruchtbare Epoche zu verfolgen, ist ein Hochgenuss. Das liegt auch am lebendigen Stil, der noch einen Fichte zu vermitteln vermag. 

Dass die Malerei nicht, die Musik kaum vorkommt und die europäische Dimension der Romantik außen vor bleibt, hätte der Autor im Vorwort sagen sollen, um es sich nicht vorhalten lassen zu müssen.

Es ist spannend, das Romantische – bei Heine, Wagner, Nietzsche, Heidegger und anderen – bis in die 68er Jahre des vorigen Säkulums zu verfolgen – mündend in die durchaus triftige Diagnose des Autors, dass immer dann, wenn sich Romantik und Politik in Deutschland mischen, Probleme entstehen.


Günter Ott leitete das Feuilleton der Augsburger Allgemeinen Zeitung und arbeitet weiterhin als freier Journalist und Literaturkritiker.