Unter finstern Himmeln

Ingeborg Bachmann & Paul Celan: "Herzzeit" | Der Briefwechsel

Besprechung von Günter Ott

Im Mai 1948 lernten sie sich in Wien kennen. Ingeborg Bachmann schrieb begeistert an ihre Eltern, Paul Celan habe sich "herrlicherweise" in sie verliebt. Ihr Zimmer gleiche einem "Mohnfeld", mit dieser Blumensorte überschütte sie der surrealistische Lyriker. Das Liebespaar konnte gegensätzlicher nicht sein: Die Philosophie studierende Tochter eines ehemaligen österreichischen NSDAP-Mitglieds aus Klagenfurt traf den staatenlosen Juden aus Czernowitz, dessen Eltern im Konzentrationslager umgekommen waren.

Der Zuneigung, kaum eingestanden, folgte sogleich die Trennung: Celan ging im Juni nach Paris. Der einsetzende Briefwechsel zwischen diesen beiden exemplarischen Lyrikergrößen der deutschen Nachkriegsgeschichte liegt nun komplett vor. Es sind fast 200 Zeugnisse – das erschütternde Dokument einer unerfüllten Liebe, beschworen "unter unsern finstern Himmeln" (Celan).

"Ein Wort von Dir – und ich kann leben."

Sie widmen sich Gedichte, flehen um Besuch, haben Angst, zu viel zu sagen. Um ein Wort betteln sie, fallen in langes Schweigen, werfen sich Missverständnisse vor, brechen Briefentwürfe ab. Sie verschanzen sich hinter Verletzungen, sehnen neue Gemeinsamkeit herbei. Das Schöne: Bei aller Offenlegung bleiben die letzten Geheimnisse dieser Liebe im Verborgenen.

"Ein Wort von Dir – und ich kann leben." "Wo wills mit uns hin, ich weiß nicht" (Celan). – "Weißt Du eigentlich noch, dass wir doch, trotz allem, sehr glücklich miteinander waren, selbst in den schlimmsten Stunden, wenn wir unsre schlimmsten Feinde waren?" "Es zerbricht mir alles" (Bachmann).

"Ich glaube wirklich, das größere Unglück ist in dir selbst"

Der Gesprächsfaden ist stets bis zum Zerreißen gespannt. Zwei an der Liebe Verzweifelte zweifeln am Leben, an der Dichtung und Sprache und am Kulturbetrieb, in dem die anderen so "wohlig turbulieren".

Paul Celan wittert neuen Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland. Er empfindet sich als Missverstandenen, Übersehenen, Verunglimpften (Plagiatsvorwürfe durch Claire Goll!) – so sehr, dass er seine wachsenden Erfolge nicht sieht. So sehr, dass Ingeborg Bachmann allen Mut zusammennimmt und ihm vorhält: "Ich glaube wirklich, dass das größere Unglück in Dir selbst ist."

Tiefe Schatten der "Herzzeit"

Celan ist seit 1951 mit der Französin Gisèle Lestrange verheiratet, Bachmann lebt mit dem Komponisten Hans Werner Henze und später mit Max Frisch zusammen. Im Oktober 1957 in Wuppertal flammt die Liebe zwischen Celan und Bachmann noch einmal auf, doch bald legt sich wieder der tiefe Schatten auf die "Herzzeit" (so der Titel der Edition).

Die Autorin Bachmann feiert Erfolge, Celans psychische Krisen spitzen sich dramatisch zu. 1967 schreibt er die letzten Zeilen an Ingeborg, das Zwiegespräch bricht ab. In der Nacht vom 19. auf den 20. April 1970 verließ der Dichter seine Pariser Wohnung. Celan stürzte sich in die Seine. "Er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken, er war mein Leben“, steht im Bachmann-Roman "Malina".

Zusätzliche Dokumente und Kommentare zum Briefwechsel

Ergänzend ist Celans (spröder) Austausch mit Max Frisch nachzulesen, ferner die tief bewegenden Schreiben zwischen Bachmann und Celans Frau Lestrange. Das Ganze ist vorbildlich kommentiert und mit einer abschließenden Zeittafel versehen.


Günter Ott leitete das Feuilleton der Augsburger Allgemeinen Zeitung und arbeitet weiterhin als freier Journalist und Literaturkritiker.