Frauen schreiben in eigenen Räumen

Newsletter | Februar 2009

Liebe Leserinnen und Leser,

der Equal Pay Day findet in der Schweiz am 10. März, in Deutschland am 20. März und in Österreich am 16. April statt. Frauen werden allerorts mit roten Taschen auf das Ungleichgewicht der Entlohnung aufmerksam machen. Um auf den gleichen Betrag wie ein Mann zu kommen, müssen Frauen länderspezifisch den entsprechenden Zeitraum vom Jahresende bis März oder April länger arbeiten.

Kein Thema im Rahmen der Literatur? Oder doch? Virginia Woolf [Amazon-Link] plädiert jedenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur für ein eigenes Zimmer, sondern auch für ein eigenes Einkommen, das unabhängig mache. Denn erst auf solcher Basis könne das Schreiben fließen. Ingeborg Bachmann gilt einige Jahrzehnte später vielen als Vorzeigefrau der Gruppe 47. Hilde Domin macht sich nach ihrer Rückkehr aus dem Exil der Dominikanischen Republik um einige Jahre jünger, um als Frau noch Chancen im Literaturbetrieb zu haben.

Ausgerichtet auf den internationalen Tag der Frau am 8. März steht der Newsletter unter weiblichem Vorzeichen. Auf eine motivierende Lektüre!

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit
Ihre
Michaela Didyk



Ein Name für Frauenrecht: Olympe de Gouges

Als 1791 die neue Verfassung Frankreichs auf der Grundlage der "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" verabschiedet wird, ist dies Olympe de Gouges, 1748 als Marie Gouze in Montauban geboren, nicht genug. Sie veröffentlicht die "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" und schickt sie an die Nationalversammlung.

De Gouges weiblicher Gegenentwurf zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Ihr weiblicher Gegenentwurf, mit dem sie den als natürlich angesehenen Ausschluss der Frau aus dem politischen Leben aufdeckt, wird ignoriert. Schon zuvor hat de Gouges Wandzeitungen und Pamphlete verfasst. Sie macht sich für Minderheiten stark. Inwieweit sie sich in den Frauenclubs, die es seit Ausbruch der Revolution 1789 gibt, engagiert, ist historisch nicht belegt. Ihr Einsatz für die Rechte der Frau, für deren Bildung, Eigentum und Beruf zeigt sich vor allem in ihrem Schreiben.

Ihre Schmähschriften gegen Robespierre und Marat, vor allem ihre Wandzeitung, in der sie zu einer direkten Volkswahl aufzurufen versucht, bringen sie im Juli 1793 ins Gefängnis. Das Revolutionstribunal verweigert der nach monatelanger Haft kranken Angeklagten einen Verteidiger ihrer Wahl: Sie habe genug Hirn, um für sich selbst zu sprechen. Am 3. November 1793 stirbt de Gouges unter der Guillotine und wird in einem Massengrab verscharrt.

Kämpferin auf vielen Ebenen

Olympe de Gouges ist Kämpferin. Um 1770 kommt sie mit ihrem Sohn nach Paris. Ihr Ehemann, ein Verwalter und Wirt, an den sie 16-jährig ohne ihre Zustimmung verheiratet wurde, starb kurz nach der Geburt des Kindes. Frei aus der ihr verhassten Bindung, blüht sie in Paris auf, von einem begüterten Freund finanziell unterstützt.

Zehn Jahre lebt sie als "femme galante" und nutzt die Zeit zu intensivem Selbststudium einschließlich der französischen Sprache, redet man im heimatlichen Languedoc doch okzitanisch. De Gouges' Salon ist Treffpunkt von Künstlern, Prominenz und Adel. Gleichwohl zieht sie Neider und Frauenhasser auf sich.

Während dieser Jahre beginnt Olympe zu schreiben. Ihr Debüt als "femmes des lettres" gibt sie 1784 mit dem Briefroman "Mémoire de Mme. de Valmont", in dem sie - hier gibt es andeutungsweise biografische Bezüge - die Lebensbedingungen illegitimer Geburt thematisiert und das männliche Privileg, sich ohne Vaterschaftsnachweis aller Pflichten zu entledigen, angreift.

Der Einbruch in die Männerdomäne und die Intrige als Antword

Ihr erstes Theaterstück "Zamor und Mirza", die Sklaverei anprangernd, wird nach jahrelangem Streit zwar in der Comédie Française aufgeführt, gerät jedoch durch Intrigen zum Skandal und wird für immer abgesetzt. Ob Politik oder Theater - es ist nicht nur de Gouges' Einbruch in eine Männerdomäne, die ihr Feinde schafft, sondern vor allem, dass sie stets mutig unter ihrem eigenen Namen in die Öffentlichkeit tritt.

De Gouges verfasst ihre Schriften und Stücke tagesaktuell und schnell. Von ihrem umfangreichen schriftstellerischen Werk ist jedoch nur ein Bruchteil erhalten. Fast nichts liegt in deutscher Übersetzung vor. Selbst in Frankreich läuft die Rehabilitierung der Frauenrechtlerin, Autorin und Philosophin sowie die wissenschaftliche Bearbeitung und Edition ihres Werkes zögerlich.

In den 1970ern von feministischen Wissenschaftlerinnen entdeckt, kehrt Olympe de Gouges allmählich - 2008 jährte sich ihr 260. Geburtstag - ins Rampenlicht zurück. Ihr Leben wird erforscht, ihre Werke werden verzeichnet und Übersetzungen angeregt.

Die Wiederentdeckung der Olympe de Gouges

Die Patriarchatsforscherin und feministische Theoretikerin Hannelore Schröder hat als Pionierin an der Wiederentdeckung der Französin großen Anteil. Die Wiener Verlegerin Viktoria Frysak hat im Rahmen ihrer Forschungsarbeit eine Internetseite erstellt, die Olympe de Gouges in ihren vielerlei Facetten würdigt.

Zornig geboren nennt die Schweizer Theaterautorin Darja Stocker (*1984) ihr jüngstes Stück. Auch sie lässt sich von der historischen Gestalt de Gouges' anregen: »robespierre, möchtest du mit mir in der seine baden gehen? gezeichnet d.g.« Die Uraufführung bei den Ruhrfestspielen findet am 4. Juni 2009 unter der Regie von Armin Petras statt.


Frauenleben: Aus Erfahrungen werden Erzählungen

Viermal im Jahr bespricht Roswitha Hofmann, Lyrikerin und Mitglied des Autorenkreises Allgäu, Neuerscheinungen in "Beckers Lesezeichen". Auf zwei zum Thema passende Bücher macht sie aufmerksam:

"Schwalbennester" [Amazon-Link] heißt der erste Band. Christine Zuppinger, die Autorin des Buches über zwei Schwestern - zwei ledige Bäuerinnen - im Bayerischen Wald, ist Ethnologin und selbst in der Gegend geboren. Sie lebte und forschte für einige Jahre in Sizilien und arbeitet heute in Berlin.

Mosaiksteine für ein Lebensbild voll Erfahrungen

Der Band ist Zuppingers Erstlingswerk als Autorin. Sie hat keine Geschichte erfunden, sondern erzählt von Maria und Zenzi. Zwei Jahre lang, bis zum Tod der beiden, führt Zuppinger, als sie das Vertrauen der 70-jährigen Schwestern gewonnen hat, Gespräche mit ihnen. Und insofern immer wieder unverheiratete Frauen dem Familienhof vorstanden, verfolgt die Autorin im Spiegel der beiden Bäuerinnen auch die Familiengeschichte der Frauen bis ins 19. Jahrhundert zurück.

Es entsteht keine fortlaufende Erzählung. Vielmehr formt sich aus Einzelstücken ein Gesamteindruck, der durch die Schwarzweiß-Fotos und die im Dialekt belassenen Zitate seine Wirkung entfaltet - durchaus mit Humor, wenn es beispielsweise um die Erfahrung eines Friseurbesuchs geht: "Einmal bin ich beim Friseur gwen, und da hab ich mir gedacht mei letzte Stund schlagt, wias da mein Kopf derfedert haben, und dann hab i in den Spiegel neigschaut und dann bin i gwesn wie ein Einhorn."


Mit 60 fängt das Leben an

Das zweite Buch, das Roswitha Hofmann auf ihrer Empfehlungsliste stehen hat: "60 Jahre und ein bisschen weiser. 21 Frauen erzählen" [Amazon-Link]. Ob wiederum einfache Bäuerin oder prominent wie Schauspielerin Senta Berger, die Journalistin Wibke Bruhns und Gesine Schwan, die für das Amt der Bundespräsidentin zur Wahl stand, - Ute Karen Seggelke, Jahrgang 1940, hat Frauen in den Sechzigern aus unterschiedlich biografischen und sozialen Hintergründen fotografiert und ihnen Fragen gestellt.

Eines ist allen gemeinsam: Das herannahende Alter sehen sie gelassen. Neugierig und vital schöpfen sie aus ihrem reichen Erfahrungsschatz und setzen neue Schwerpunkte in ihrem Leben. Eine optimistische Frauengeneration stellt sich in diesem Band mit Fotoporträts und vielfältigen Lebensgeschichten vor.


Schreibende Frauen durch Jahrhunderte: Frauen Literatur Geschichte

Die herkömmliche Einteilung in Epochen und Stilbegriffe kann bei einer Literaturgeschichte für Frauen nicht greifen. Zu sehr ist ihr Schreiben durch Brüche, beständige Neuanfänge und Diskontinuitäten bestimmt.

Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann, die beiden Herausgeberinnen der "Frauen Literatur Geschichte" (1998 überarbeitete zweite Auflage [Amazon-Link]) beziehen daher Virgina Woolfs Postulat nach dem eigenen Zimmer in ihre Konzeption ein. Der Schreibraum - real oder geistig - wird zu einer wichtigen Bedingung weiblichen Schaffens, sei es das Kloster Hildegards von Bingen, das höfische Umfeld von Marie de France oder die spätere Salonkultur in Frankreich und Deutschland.

Doch meist ist solche Unabhängigkeit und Ermutigung durch die Umgebung nicht gegeben. Die "Quietschtür", von der Jane Austin in ihrer Autobiografie schreibt, bringt es auf den Punkt: Sie kennzeichnet die Produktionsbedingung der meisten bürgerlichen Autorinnen bis weit ins 19. Jahrhundert.

"Ohne eigenes Zimmer, oft auch ohne die elterliche Schreiberlaubnis, nutzten sie die wenigen 'leeren Stunden' des gemeinsamen Wohnzimmers einer zumeist großen Familie, um ihre Werke zu schreiben. Die 'Quietschtür' war das Warnsignal, bei dem das Manuskript unter der Tischdecke zu verschwinden hatte."

Möglichkeiten des Schreibens und geschlechterspezifische Besonderheiten

Feministische Forschung und Gender Studies bilden die Grundlage der "Frauen Literatur Geschichte" mit ihren mannigfaltigen Fachbeiträgen. Es zeigen sich über Epochen- und Nationalgrenzen hinweg die Entwicklungslinien weiblichen literarischen Schaffens. Neben den bereits erwähnten Räumen schriftstellerischer Selbstentfaltung rücken die Möglichkeiten des Schreibens und geschlechterspezifische Besonderheiten in den Blick.

Welche Genres haben Frauen für sich in Anspruch genommen? Wie haben sie vorhandene "männliche" für sich angepasst: Tagebücher, Briefe, Memoiren, Reisebeschreibungen und Lyrik kristallisieren sich als Autorinnen-Schwerpunkte heraus. Bildungs- und Entwicklungsromane verzweigen sich aus traditioneller Gattungsvorgabe. Die "schreibenden Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart" arbeiten sich in die männliche Domäne vor und entwerfen wie beim Hörspiel, der Performance, den Möglichkeiten des Internet, bei der erotischen Literatur oder dem Kriminalroman neue Sichtweisen und (Sub)Genres.

Brüche und Lücken - sichtbar im Titel "Frauen Literatur Geschichte"

Von "Frauenliteratur" zu sprechen ist dabei nicht ganz unproblematisch. Das Wort wird seit dem 19. Jahrhundert als gönnerhafter Ausdruck und Gattungsbegriff für das Werk schreibender Frauen verwendet. Meist hängt ein entsprechendes Kapitel der regulären Literaturgeschichte an. Diese Spielart hat noch nicht ganz ausgedient. Hiltrud Gnügs und Renate Möhrmanns "Frauen Literatur Geschichte" kann daher bereits im Titel die Brüche und Lücken verdeutlichen, die auch beim Lesen einer "Literaturgeschichte" Freiräume und veränderte Zuordnungen herstellen.

PS: Die "Frauen Literatur Geschichte" liegt auch als Taschenbuch-Ausgabe [Amazon-Link] vor. Achten Sie jedoch genauso wie bei der gebundenen Ausgabe unbedingt auf die völlig überarbeitete und erweiterte Auflage (als TB Jahrgang 2002).


Autorinnen: Im Netzwerk und Verband

Dass es gemeinsam nicht nur besser gehen kann, sondern sogar Ziele erst erreicht werden, ist keine Neuigkeit. Dennoch bleibt manchmal die Qual der Wahl, welcher Gruppe man beitreten soll, oder blockiert die eigene Unentschiedenheit, sich Unterstützung - ob als Information, Ermunterung, Austausch oder Aktion - zu holen. Die folgenden drei Adressen mögen Sie stellvertretend für vielerlei Möglichkeiten anregen, sich mit anderen Autorinnen regelmäßig zu treffen und Ihre Informations- und Kontaktbasis zu erweitern.

Die GEDOK ist das älteste und europaweit größte Netzwerk für Künstlerinnen aller Sparten. Der "Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e. V." wurde 1926 von Ida Dehmel als "Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen" in Hamburg gegründet. Er ist heute in 23 deutschen Städten und Regionen sowie in Wien präsent. Das Anliegen der Mäzenin war es, die künstlerischen Talente von Frauen zu fördern.

Aufmerksamkeit für die Arbeit von Schriftstellerinnen

"In allen Zeiten haben sich Schriftstellerinnen in die Themen ihrer Gegenwart eingemischt, für ihre Rechte und ihren Platz in der Welt gestritten, schreibend und im Austausch miteinander."

Die Autorinnenvereinigung e.V., 2005 in Berlin gegründet, folgt dieser Tradition. Als "das erste und einzige Netzwerk für Schriftstellerinnen und Autorinnen aller Genres, die in deutscher Sprache schreiben und publizieren" gilt es hier, "ein Netzwerk [zu[ schaffen für Information und Solidarität, für Fragen und Antworten zu allem, was sich im beruflichen Alltag einer Autorin ergibt."

Aufmerksamkeit für die Arbeit von Schriftstellerinnen soll so erreicht werden. Denn "als Käuferinnen stellen Frauen entscheidende Mehrheiten, halten mit ihrer Leselust, ihrem Geld den Buchmarkt am Leben. Als Autorin kann nur eine Minderheit vom Schreiben als Beruf leben." Die eigenen Interessen gemeinsam zu vertreten und die Isolation des Arbeitens und Wissens zu verringern, ist daher Hauptziel.

Sich und große Autorinnen präsentieren

In weniger festen Strukturen verankert, doch nicht minder rege und erfolgreich, ist die FrauenEdition München. "Angefangen hat es mit einer Irritation: Warum sind nur 4 Frauen unter den 50 Autoren der SZ-Edition?"

Fabienne Pakleppa und Rita Winhart setzen auf Eigenengagement: Seit 2005 trifft sich eine offene Gruppe von inzwischen gut 200 Frauen nach dem Motto "Münchner Frauen und Münchner Künstlerinnen präsentieren sich und große Autorinnen."


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