Landschaften im Gedicht I

„Hier werden optimistische Hochhäuser gebaut“ (Mathias Schreiber)

Schreibnacht online | 27. August 2020

Die antiken Dichter kannten die Zutaten einer Ideallandschaft. Ob Quelle, Vogelgezwitscher oder Baum, mit insgesamt fünf feststehenden Elementen (Topoi) entwarfen sie einen lieblichen Ort (locus amoenus).

Die sinnliche Ansprache sollte die Lesenden erfreuen und in einen imaginären Raum entführen, der die Sehnsucht nach Harmonie stillt. Dass dem bereits der Raubbau der Römer entgegenstand, die für ihre Kriegsschiffe die Wälder Siziliens abholzten, tat der Idylle keinen Abbruch.

Die Ideallandschaft als Vorstellungsraum

In der deutschsprachigen Literatur waren die ursprünglichen Topoi bis ins 18. Jahrhundert gängig. Ein Restbestand lässt sich sogar im modernen Gedicht noch entdecken. Allerdings verraten die Auswahl und Kombination, wie sich das Bild der Ideallandschaft je nach Kultur und Zeitgeist ändert.

So relativiert sich bei Clemens Brentano bereits im Hinweis auf die Wildnis die Vorstellung einer allzeit gültigen Ideallandschaft: „Durch die Büsche muß ich dringen / Nieder zu dem Felsenborn, / Und es schlingen sich mit Klingen / In die Saiten Ros' und Dorn.“  Bei Johannes Bobrowski bleibt es mit „Strom“, mit dem „Atem der Wälder“, den „schreienden Vögeln“ nur bei Andeutungen, die der Erinnerung an eine verloren gegangene Landschaft dienen.

Die durch den Menschen verletzte Natur

Mathias Schreibers "optimistische Hochhäuser", zwischen dem letzten "Rübenfeld" und den Stinkschloten der Chemiefabriken gelegen, sind kaum der Idylle zuzurechnen. Der Eingriff des Menschen in die Natur ist unübersehbar.

Gibt es überhaupt noch unberührte und unversehrte Natur, ihre stillen Plätze und Kraftorte? Oder ist sie untertan gemacht, kultiviert zu Feld und Acker, eingeteilt in Bauland und Freizeitpark, unterschieden in Stadt- und Kulturlandschaft?

Ist die Natur selbst zur Naturlandschaft geworden, als ein nur noch von uns gestalteter Teilbereich definiert und geschmälert? Ist es der „Kahlschlag“, von dem Walter Werner in seinem gleichnamigen Gedicht schreibt und einen Grund dafür nennt: „Die Liebe im Vergessen“?

Im Spiegel der Landschaftsbilder

Landschaften geben unseren Blickwinkel wieder. Es sind unsere Vorstellungen von der Natur, wenn wir sie einerseits unserem Zugriff (noch) entzogen als Wildnis einstufen oder kultiviert als Landschaft, egal welches Etikett von ideal bis tot wir beifügen.

Vielleicht nützte es, den aus der Kunst bekannten Begriff Stillleben oder Nature morte durchaus wörtlich zu übersetzen. So könnten wir unser Naturbild zum einen genauer erkennen, wenn wir wie im Gedicht von Sabine Reber unseren Hinterlassenschaften begegnen: „Unter der grünen Decke rostet ein Auto /[…|/ Im Feenwald türmt sich der Müll“.

Zum anderen ist es ebenso die vernichtende Entfremdung des Menschen, derer wir im Spiegel - insbesondere der Stadtlandschaften - gewahr werden: „die City, ausgestreckt, plattgepflügt /[…]|/ Arenen agonierenden Lichts“ (Jan Volker Röhnert)

Auf, auf! Die Landschaften neu entworfen!

Durchstreifen Sie in der Lyrik-Schreibnacht die Landschaften: Der Weg führt Sie durch Bauland und Au, am locus amoenus und der Ideallandschaft vorbei zu Betonwüste und Freizeitpark. Ihr Blickwinkel bestimmt, wie Sie die Eindrücke in Verse umsetzen.

Die klassischen Zutaten, die über Jahrhunderte hinweg zur Darstellung einer Idylle notwendig waren, erhalten Sie als Grundausrüstung. Mischen Sie sie neu für Vision und Engagement. Sie sind am 27. August 2020 ab 19 Uhr herzlich dazu eingeladen.

PS: "Landschaften im Gedicht I" ist der Auftakt einer mehrteiligen Reihe, die sich in unregelmäßigen Abständen 2021 unter dem Motto Dichten im Anthropozän fortsetzt.

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